Verständnis

18.05.2021

"wendet euch nicht ab von mir" "seht ihr mich?" "versteht, was ich geworden bin, es war nicht meine Planung (my design)" "er mochte mich" "aber ich vermisse euch" "kümmert es irgend jemanden?" Das sind ein paar Auszüge aus "Ode to My Family" von den Cranberries (1994). Ein wunderschönes aber sehr trauriges Lied, finde ich.

Dolores O'Riordan war eine unglaublich talentierte Sängerin, die aber auch sehr schlimme Erfahrungen im Leben machen musste. Gemäss Wikipedia habe ihr katholischer Glaube sie stark beeinflusst. Dass ihr Tod als Unfall eingeordnet wurde, wird wohl in ihrem Sinne sein. Persönlich empfinde ich viel Mitgefühl für diese Frau, obwohl ich sie nie kennengelernt habe. Und doch fühle ich mich mit ihr verbunden. Es ist zwar gottseidank nicht so, dass ich eine unglückliche Kindheit gehabt hätte. Und leider kann ich auch nicht so gut singen. Aber ich habe in meinem Leben schon viele Menschen (vor allem Frauen) mit mehr oder weniger ähnlichen Schicksalen kennenlernen dürfen. So wie ich es erlebt habe, sind Überlebende von Gewalt (welche ich nicht als "Opfer" bezeichnen möchte), unglaubliche Kämpfer. Ich stelle mir vor, wieviel Kraft es braucht, sich mit so einem Schicksal zu versöhnen... Und ich finde es unglaublich stark, wenn Menschen trotz eigener Gewalterfahrung die Gewaltspirale durchbrechen können. So kann etwas unglaublich hässliches in etwas wunderschönes verwandelt werden. Wenn Menschen ihre Verletzlichkeit annehmen können und in Kreativität verwandeln können, ist das für mich ein wahres Wunder. Darin kann ich auch einen Sinn in etwas scheinbar Sinnlosem wie Gewalt erkennen. Dass so viele schlimme Dinge auf unserer Welt passieren, kann eine Energie freisetzen, die viel stärker ist, als alles Schlechte. Es bestätigt meinen Glauben, dass das Göttliche in uns und das Gute auf der Erde überwiegt.

Wahrscheinlich ist Gewalt für die Täter eine Art Strategie, mit ihren eigenen Defiziten umzugehen. Dabei meine ich nicht nur körperliche Gewalt. Es kann z.B. für ein Kind schwere Konsequenzen haben, wenn es etwa von seinen Eltern nicht die Liebe bekommt, die jeder Mensch verdient. Es können kleine Bemerkungen sein, die das (Selbst-) Vertrauen dauerhaft schädigen. Einmal habe ich einen Mann angesprochen, weil er zur Tochter seiner Frau (seinem "Stiefkind") gesagt hat, sie "fresse wie ein Schwein". Er hat mir gesagt, er mache das zum Schutz des Mädchens, weil sie sonst in der Schule gehänselt werde, wenn sie dick sei und er wolle sie so "abhärten" bzw. "schützen". Ich bin zwar keine Pädagogin aber das macht doch überhaupt keinen Sinn. Ihr denkt vielleicht, dass das übertrieben ist, dass es nur ganz wenige Menschen sind, die ein Kind so behandeln. Aber nach meiner Erfahrung ist es das überhaupt nicht. Viel zu oft wird Liebe als Bestechungsmittel bzw. Belohnung für das "richtige" Verhalten eingesetzt und Liebesentzug als Strafe für "falsches" Verhalten. Bedingungslose Liebe, wie ich sie als Kind erfahren habe, wünsche ich jedem Menschen. Wenn ich dieses Urvertrauen nicht kennen würde, wäre ich möglicherweise heute nicht mehr da... Auch wenn die Liebe mich nicht davor bewahrt hat, schlimme Erfahrungen im Leben zu machen, gab sie mir das Vertrauen, dass ich einen Umgang mit meinen Problemen finden werde und dass ich nicht allein bin.

Es gab auch Zeiten, wo ich mich sehr einsam fühlte weil ich das Gefühl hatte, dass mich niemand wirklich versteht. Ich habe mich ja selbst nicht verstanden. Schicksalhaft war für mich bei meinem bisher schlimmsten Klinikaufethalte in einer Frauenklinik die Begegnung mit einer Psychologin, die damals frisch diese Stelle angefangen hatte. (So hat tatsächlich auch diese schlimme Erfahrung etwas sehr positives in meinem Leben bewirkt). Sie hatte eine sehr menschliche Arbeitsweise und ich fühlte mich durch sie endlich verstanden. Sie hat mir auch einen hervorragenden ambulanten Therapeuten an meinem damaligen Wohnort empfohlen, dem ich so viel verdanke.

Wahrscheinlich muss man auch in einer psychiatrischen "Karriere" einige Frösche küssen, bis man die Prinzessinnen und Prinzen findet. Was ich damit sagen will: es gibt Hilfe für Menschen mit psychischen Problemen. Es gibt ganz wunderbare Menschen, die einem helfen können, seinen eigenen Genesungsweg zu finden. Vielleicht ist der erste Arzt oder auch die zweite oder dritte Therapeutin ein Griff ins Klo, aber gebt deswegen bitte nicht auf. Auf jeden Topf passt ein Deckel. Vielleicht ist es nicht die Psychologin, die euch am besten hilft, sondern der Bewegegunstherapeut oder die Seelsorgerin, ein Pfleger, die Ergotherapeutin, der Musiktherapeut, ein spiritueller Lehrer oder ein Peer oder zwei oder drei.

Die Feinfühligkeit von Menschen mit psychischen Problemen ist in Wirklichkeit eine Stärke. Man ist nicht zu schwach, wenn man Gefühle hat, im Gegenteil. Gefühle zuzulassen, gibt einem die Möglichkeit, an sich zu arbeiten und zu wachsen. Wenn man sich mit der Zeit selber kennen und lieben lernt, kann man auch besser kommunizieren und erfährt mehr Verständnis. Es ist kein einfacher Weg, aber Geduld bringt Rosen. Man kann sich kleine Ziele setzen, wie ich jetzt mit diesem Blog. Ich erwarte kein Verständnis dafür, was ich erlebe oder wer ich wirklich bin. Ich wünsche mir gesellschaftliche Akzeptanz, dass ich mein eigenes Leben führen darf, wie es für mich gut ist. Aber für den Anfang bin ich schon froh, wenn ein paar Leute hier mitlesen. Auch ihr könnt etwas kleines bewirken, indem ihr zum Beispiel Werbung für meinen Blog macht, hehe. Oder schreibt selber einen Blog, es macht wirklich Spass. Indem jeder von uns sich auf etwas gutes konzentriert (statt auf all die "Schwächen", die wir auch haben) und seine Interessen und Talente fördert, werden wir definitiv die Welt verändern.

A propos Talent und um den Bogen zum Anfang zu schliessen: Können wir noch kurz festhalten, dass es in den 90ern einfach tolle Musik (und Filme) gab? Wenn ihr vielleicht nicht mit allem einverstanden seid, was ich schreibe, wäre das doch schonmal ein guter Anfang für eine Diskussion, die unser gegenseitiges Verständnis fördern könnte. Die Liebe für etwas Schönes wie z.B. Musik ist zwar Geschmackssache aber steckt sicherlich in jedem von uns.