Mut, Angst, Hoffnung

28.03.2021

Meine erste Psychose hatte ich mit 19 Jahren. Zunächst wusste niemand, was mir fehlte und ich selbst hatte das Gefühl, die Welt sei verrückt (ge-)worden.

In der Zwischenzeit habe ich viel über meine "Krankheit" gelernt. Ich empfinde sie selbst nicht als Krankheit. Was bei der Diagnose "Schizophrenie" oft als fehlende Krankheitseinsicht interpretiert wird. Ich selber weiss jedoch, was meine Stärken und Schwächen sind und habe in den letzten Jahren auch gelernt, dass Ärzte bzw. medizinische Fachpersonen auch nur Menschen sind. Sicher haben sie einiges an Wissen und Erfahrungen, die ich nicht habe. Aber das Gleiche gilt auch umgekehrt.

Wenn ich mich daran erinnere, wie hilflos ich mit 19 Jahren war, als ich zum ersten Mal eine Psychiatrische Klinik von Innen kennengelernt habe, wünsche ich meinem damaligen Ich, dass in der Gesellschaft offener über psychische Gesundheit gesprochen worden wäre. Aus meinem damaligen Umfeld kannte ich niemanden, der auch nur annähernd etwas ähnliches erlebt gehabt hätte. Auch für meine Familie war meine erste Krise ein Schock.

Kürzlich habe ich das TED-Video von Prof. Elyn Saks gsehen, welche sich vor einigen Jahren mit der Diagnose Schizophrenie "geoutet" hatte. Ich bewundere ihren Mut und habe mir überlegt, was ich selber tun kann. Ich habe mich nach ganz kurzem Überlegen gegen ein Medizinstudium entschieden.

Ich möchte über meine Erfahrungen schreiben, um anderen Menschen Mut zu machen und einen Beitrag gegen die Stigmatisierung durch Unkenntnis von psychischen Erkrankungen und insbesondere der Schizophrenie zu leisten.

Meiner Ansicht nach ist das Unwissen die Hauptursache für Angst. Und leider haben nach wie vor viele Menschen Angst vor "psychisch Kranken". Angst war für mich auch das prägendste Gefühl während meiner drei Psychosen. Angst, beobachtet zu werden, Angst, etwas falsch gemacht zu haben, Angst vor der Zukunft etc. Nun ist ja Mut bekanntermassen nicht die Abwesenheit von Angst, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass etwas anderes wichtiger ist. Wichtiger als meine Ängste ist für mich die Hoffnung. Diese möchte ich weitergeben, in erster Linie an andere "hilflose Patienten und Patientinnen" -wozu ich mich heute nicht mehr zähle - und ihre Angehörigen. Heute habe ich die Kraft und die Stärke um anderen helfen zu können.

Dass ich heute an diesem Punkt stehe, verdanke ich nicht nur meiner Sturheit sondern vor allem auch meiner lieben und unterstützenden Familie, meinen Eltern und meinen Schwestern, Neffen und Nichten, meinem Hund, sogar meinem Ex-Freund. Irgendwie hatte ich in meinem Leben immer wieder das Glück, dass ich die richtigen Menschen getroffen habe. Ich habe auch viele Freunde (mit und ohne Psychiatrie-Erfahrung), denen ich vertrauen kann und die mich unterstützen. Nicht zuletzt hilft mir die Therapie bei meinem Psychiater.

Die wichtigsten Aspekte für meinen Gesundungsweg

Sehr wichtig sind die regelmässigen Termine bei meinem aktuellen Psychiater, zu welchem ich seit einem Jahr regelmässig gehe. Er ist für mich der erste Psychiater, dem es nicht primär darum geht, Medikamente zu verschreiben. Ich merke bei den Gesprächen mit ihm, dass ich selber über mich bestimmen kann und er unterstützt mich dabei. Ein weiterer wichtiger Aspekt für meine Gesundung war und ist immer wieder ein regelmässiger Tagesablauf, insbesondere die Erwerbstätigkeit. Diese hat mir geholfen, mich nicht selber aus der Gesellschaft auszuschliessen.

Als dritten bedeutsamen Aspekt für meinen Gesundungsweg würde ich die Fähigkeit "Nein" zu sagen, bezeichnen. Ich habe immer viel für andere Menschen gemacht und möchte dies auch in Zukunft nicht aufgeben. Ich habe aber durch meine "Krisen" gelernt, dass ich zuerst zu mir schauen muss, bevor ich anderen helfen kann. Dazu gehört, dass ich "Nein" sage, wenn ich merke, dass mir etwas zu viel ist.

Heute möchte ich jedoch nicht "Nein" sagen. Ich möchte "Ja" dazu sagen, meine Geschichte zu erzählen. Ja dazu, mutig zu sein und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, einen Teil von dem Glück, das ich erfahren habe, zurückzugeben.