keine Angst vor Spinne(r)n

02.05.2021

"Die haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen." Hat mein Papa immer gesagt, eine wahre Lebensweisheit. In Bezug auf alle (gruseligen) Geschöpfe.

Ich habe schon erlebt, dass eine Frau Angst vor mir bekam, nachdem ich ihr meine Diagnose mitgeteilt hatte. Ich habe versucht, sie vorzubereiten und habe zuerst nur von psychischen Krisen gesprochen. Als sie es genauer wissen wollte, habe ich von Psychosen geredet. Sie dachte, das sei ein allgemeiner Begriff. Als ich ihr die Diagnose Schizophrenie genannt habe, wurde sie plötzlich ruhig. Doch dann hat sie mich gefragt, ob ich gefährlich sei, ob sie Angst vor mir haben müsse. Irgendwie muss ich jetzt schmunzeln, weil sie mich das gefragt hat. Ich finde es sehr schön und mutig von ihr, dass sie mich so direkt gefragt hat. Wahrscheinlich denken das noch ganz viele Leute, trauen sich nur nicht so direkt zu fragen. Und wie soll sich etwas ändern, wenn wir nicht fragen, nicht darüber reden?

Es gibt so viel Unwissen im Bereich psychische Beeinträchtigungen und ich glaube, es gibt noch mehr Falschwissen. Aber ganz im Ernst, wir können trotzdem reden und ihr könnt uns doch fragen, wenn ihr es nicht wisst. Ich weiss zwar auch nicht alles, bin ja auch kein Arzt. (kleines Geheimnis: Ärzte wissen übrigens auch nicht alles). Deswegen erzähle ich meistens von mir und meinen Erfahrungen als Mensch, dem die Diagnose Schizophrenie gestellt wurde. Das ist natürlich nur eine Seite. Meine Angehörigen haben eine andere Sichtweise und die Fachpersonen nochmal eine andere. Aber keine Wahrnehmung ist falsch, sie sind eben alle individuell.

Falsch ist aber, wenn man denkt, Schizophrenie sei eine gespaltene Persönlichkeit. Das kommt anscheinend vom Namen, der aus dem altgriechischen stammen soll und wörtlich übersetzt wohl "gespaltene Seele" bedeutet. Ein sehr sehr sehr stigmatisierender Begriff, wie ich finde. Deshalb rede ich selber meistens von Psychosen. Meine Seele ist nämlich weder gespalten noch sonst irgendwie kaputt. Es ist vielleicht nur ein Name, eine Bezeichnung um sich zu verständigen, damit man weiss, dass man vom Gleichen redet, aber für mich macht das einen grossen Unterschied. Und ein Mensch mit Schizophrenie ist nicht gleich wie ein anderer Mensch mit Schizophrenie. Mir ist auch schon aufgefallen, dass ich z.T. viele ähnliche Erfahrungen wie Menschen habe, denen ganz andere Diagnosen gestellt wurden (etwa Borderline, bipolar, Depression, Sucht). Und die WHO hat ja in ihrem Katalog nicht mehr nur eine Art von Schizophrenie, sondern ziemlich viele verschiedene.

Meiner Meinung nach bringen diese Schubladisierungen ziemlich wenig. Sie lassen uns irgendwie glauben, es gäbe eine Logik, eine Ordnung, einen Plan. Wenn man den richtigen Fehler gefunden hat muss man das passende Medikament nehmen und der Mensch funktioniert wieder. Nicht.

In einem anderen Text habe ich mich ja mal gewundert, warum so viele Patienten Quetiapinum (Sequase etc.) nehmen. Also ich würde von denen Aktien kaufen, wenn ich Geld hätte. Ich finde es grundsätzlich kein schlechtes Medikament und es hilft mir im "Notfall" (aber halt sehr "niedrig" dosiert) beim Schlafen. Jedenfalls, wozu brauchen wir Dutzende verschiedener Diagnosen, wenn am Schluss alle das gleiche Präparat bekommen?

Also wahrscheinlich ist das Schubladisieren etwas, was uns Sicherheit gibt. So funktioniert wohl unser Gehirn, sonst wären wir total überfordert mit all den Reizen, die wir verarbeiten. Wir alle haben ja so unsere Lebenserfahrung und das Vorwissen, was auch zu bestimmten Vorurteilen führt. In der Psychiatrie ist mir aufgefallen, dass am Rapport über einen neu eingetretenen Patienten die Fakten von Lernenden vorgetragen werden (männlicher Patient, Alter xy, Diagnose soundso, Substanzgebraucht soundso, Ziel Medikamenteneinstellung und Stabilisierung) und irgendwie alle zu nicken scheinen, weil sie sich nun ein Bild von dieser Person machen können (ohne sie gesehen zu haben). Das finde ich sehr schade. Wenn man mit diesem ganzen Aktenquatsch im Kopf dann irgendwann noch die Person kennenlernt, will man ja nur noch seine Vorurteile bestätigen. Ich fände es wünschenswert, wenn man Zeit hätte, mit einem Menschen (kurz) zu reden, sich einen ersten Eindruck verschaffen könnte, bevor man die ganzen harten Fakten weiss. 

Aber das ist nur meine bescheidene Meinung. Bin ja kein Arzt. Vor Ärzten müsst ihr aber auch keine Angst haben. Um zum Thema zurückzukommen. Nein, nein, ich will nicht sagen, dass Ärzte Spinner sind oder gar gruselige Geschöpfe. Aber sie sind halt Autoritätspersonen, die Halbgötter in weiss undso. Ganz ehrlich, tauschen möchte ich nicht mit ihnen. Diese Verantwortung würde ich nicht gerne übernehmen. Die Leute flehen einen an, ihnen zu erklären, was sie tun müssen um wieder gesund zu werden. Und der Arzt weiss es ja, der hat ja ein Studium gemacht und viel Berufserfahrung undsoweiter. Ein Mäuschen hat mir erzählt, dass das den Ärzten oft selbst zu viel ist, diese Verantwortung. Das sei unter anderem auch ein Grund weshalb so viel "Schuld" abgewälzt werde. Nicht nur im Bereich Psychiatrie. Wenn ein Mensch krank ist, sagen wir schnell "achso, er hat halt geraucht... hatte halt zu wenig Bewegung... hat halt Cannabis konsumiert...sich ungesund ernährt... usw. usf." Vielleicht soll uns das helfen, das Unverständliche irgendwie erklärbar zu machen. Das nimmt uns wohl auch ein bisschen die Angst. Wenn ich nicht rauche, trinke, viel Sport mache und mich gesund ernähre, kann mir ja nichts passieren. Ihr wisst sicher, dass das nicht stimmt. Und so ist es auch mit psychischen Erkrankungen. Ich hatte keine schlechte Kindheit, habe keine Drogen konsumiert, hatte keine genetische Vorbelastung und trotzdem habe ich mehrere Psychosen bekommen. Dafür gibt es keine wissenschaftliche Erklärung. Abgesehen vom Stress vielleicht. Aber wer von uns ist nicht gestresst? Bitte schreibt mir eine Nachricht, es würde mich freuen :)