Emotionen, Psychopharmaka, Sinn

28.03.2021

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich ca. 16 Jahre alt war. Unser damaliger Mathe-Lehrer hatte die pädagogische Überzeugung, dass er uns sagen musste, wie schlecht wir sind um uns auf die Maturaprüfung vorzubereiten. Dies sollte uns wohl anspornen, mehr zu lernen. Jedenfalls hat er regelmässig einen Schüler an die Wandtafel geholt, welcher schwierige Aufgaben lösen sollte (auch als Übung für die mündliche Prüfung, versteht sich). Dabei hat er sich vorwiegend die Schwächsten Schüler ausgesucht, welche dann an der Wandtafel vorne standen und bloss gestellt wurden. In einer dieser Situationen habe ich gelacht und zwar weil ich diese Situation so absurd fand. Der Lehrer hat sofort gesagt, ich müsse nach dem Unterricht noch bleiben. In diesem anschliessenden Gespräch (es war die letzte Nachmittagsstunde, die anderen Schüler gingen nach Hause) hat er mich damit konfrontiert, dass ich den Schüler seiner Meinung nach ausgelacht hätte. Ich wollte mich erklären, habe es aber nicht wirklich geschafft und bin bei diesem Gespräch so emotional geworden, dass auch ein paar Wut-Tränen kullerten. Der Grund für diese Tränen bei mir war diese unglaubliche Ungerechtigkeit, dass dieses A*** von Lehrer MIR vorwarf ich und meine Reaktionen seien falsch. Der Lehrer bekam jedoch ein schlechtes Gewissen wegen meinen Tränen. Was mir unangenehm war, weil ich nicht schwach war. Auch meine "Gspänli" hatten Mitleid (sie haben extra auf mich gewartet) und fragten nach, was denn Schlimmes passiert war.

Ich habe früh gelernt, dass ich meine Gefühle unterdrücken muss. Ich gehe davon aus, dass man das als Kind früh lernt. Aus eigener Erfahrung kann ich auch sagen, dass man es kaum aushalten kann, wenn ein Kind z.B. wütend oder traurig ist und man versucht, dass es möglichst schnell damit aufhört, z.B. mit Ablenken oder Trösten. Wenn es dann wieder ruhig ist, ist man erleichtert. Ich habe in einem Vortrag gehört ("Mich selbst lieben lernen" von Robert Betz), dass man deshalb so schlecht Emotionen anderer aushalten kann, weil es einen daran erinnert, dass man selbst solche Erfahrungen gemacht hat. Sozusagen reisst es jedes Mal eine alte Wunde auf, wenn ein Kind emotional ist. Und ich finde, hier lässt sich ein Kind auch mit einer erwachsenen psychotischen Person gleichstellen.

In der Psychose ist man in gewisser Weise wieder kindlicher. Vielleicht liegt das auch an unserem Gesundheitssystem, das uns um jeden Preis "helfen" will. Ich habe "helfen" in Anführungszeichen gesetzt, weil für mich die psychiatrische Hilfe in akuten Phasen überwiegend geschadet hat und meinen Zustand verschlimmert hat. Was ich mir wirklich in einer akuten Psychose wünsche, ist in diesem Sinne weniger "Hilfe" als mehr Verständnis und Begleitung.

Die westliche Psychiatrie setzt hauptsächlich auf Medikamente, um Psychosen zu Behandeln. Daneben werden heute natürlich auch Psychotherapie und andere Therapieformen häufig angewendet, jedoch nicht in den akutesten Phasen der Psychose. Dort gilt es, das "richtige" Medikament zu finden und die passende Dosierung um den Patienten zu "stabilisieren".

Die Sichtweise ist sehr verbreitet, dass eine Psychose mit der richtigen Medikation verschwindet und nicht mehr auftaucht. Aus eigener Erfahrung kann ich dazu sagen, dass das nicht stimmt. Ich habe in meinem Leben ca. 5-10 Neuroleptika ausprobieren (müssen), dazu kommen auch Benzodiazepine (Temesta). Was mich bei meinem letzten Klinikaufenthalt stutzig gemacht hat, war, dass so viele verschiedene Patienten mit so verschiedenen Krankheitsgeschichten fast alle das Medikament Sequase (Quetiapin) bekamen. Auch ich selbst nehme es heute noch als Reserve in einer Dosis von 25 mg zum Schlafen. In der Akutpsychiatrie werden jedoch Tagesdosen von bis zu 800 mg pro Tag verabreicht. Aus meiner Erfahrung schläft man dann nur noch, weil man total sediert ist.

Das Sedieren von Patienten in der Akutpsychiatrie ist meiner Ansicht nach ein Skandal und ein Zeichen von Überforderung des Fachpersonals. Ich denke, dass das das gleiche Muster ist, wie oben erwähnt. Man hält es nicht aus, dass ein Patient laut ist, dass er weint, dass er traurig, trotzig oder wütend ist. Das muss man so schnell wie möglich "reparieren", auch damit er die anderen Patienten "nicht stört". Vermutlich halten selbst die Fachpersonen die aufbrechenden chaotischen Emotionen ihrer Patienten kaum aus, ähnlich wie eine erwachsene Person kaum ein schreiendes Kind aushalten kann. Der Wunsch, die Patienten zu beruhigen, ist sicherlich nachvollziehbar. Ich würde mir jedoch wünschen, dass Emotionen nicht bewertet werden sondern auch ihren Platz haben dürfen, insbesondere in der Akutpsychiatrie. Meiner Ansicht nach ist der Wunsch nach "Ruhe" auf der Akutstation ein Grund dafür, dass sich das Leiden von Patienten vergrössert. Sie werden so dazu ermutigt, ihre Gefühle "hinunterzuschlucken" mit der passenden Pille dazu. Stattdessen finde ich es wichtig, den Patienten Raum und Zeit zu geben, eben "geduldig" (engl. "patient") zu sein. Am besten haben mir Fachpersonen geholfen, die mir wirklich zugehört haben, namentlich Seelsorger/innen. Wichtig war jedoch, dass ich erst lernen musste, zu sagen, was ich als Patientin brauchte. So hat mir beispielsweise auch eine Bewegungstherapeutin helfen können, weil ich ihr von Nebenwirkungen berichtet habe und sie nach spezifischen Übungen gefragt habe, um mich, insbesondere meinen Rücken zu stärken. Sie hat mir auf einem Papier Skizzen mit Übungen aufgezeichnet, die sie mir vorher zeigte. Sie hat verstanden, dass meine Konzentration momentan zu schlecht war, als dass ich mir alles hätte merken können. Es sind solche "Kleinigkeiten", die für die Genesung wichtig sind.

Phase des Suchens, Findens, Sich Trennens / Stress und Medikamente

Nach der ersten Phase des Nicht-wahrhaben Wollens (gemäss Trauerphasen nach V. Kast) habe ich einen Grund für meine Psychosen gesucht. Ich habe viel recherchiert, zunächst habe ich mich im Internet informiert und später habe ich durch meinen Therapeuten auch medizinische Fachliteratur gelesen.

Im Rahmen der "Psychoedukation" wurde mir in Kliniken das Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklärt mit der Dopaminhypothese. Dabei wurde mir sinngemäss erklärt, dass mein Hirn während Psychosen zu viele Botenstoffe produzierte, was durch ein Neuroleptikon reguliert werden müsse. Mehrfach wurde Schizophrenie mit Diabetes verglichen: der Patient braucht gleichermassen sein Insulin wie ein Psychotiker das Antipsychotikum, weil der Körper den entsprechenden Stoff nicht genügend produzieren könne. Die Ursachen für dieses Ungleichgewicht im Gehirn seien vielseitig, etwa drogeninduziert oder durch Stress oder Veranlagung verursacht.

Ich selbst fand das Modell bzw. die These nicht überzeugend und meine eigenen Recherchen haben ergeben, dass das Modell nie bewiesen werden konnte. Trotzdem wird es den Patienten meist als "Wahrheit" verkauft.
Witzigerweise weiss das Umfeld oft sehr genau, was wahr ist und versucht den Patienten zur Vernunft zu bringen, das heisst, ihre Wahrheit bzw. Wahrnehmung ebenfalls als wahr anzuerkennen um gesund zu werden.

Spannend bei meiner Umfrage war, dass von den 22 Teilnehmern keine einzige Person Bezug genommen hat auf das Dopaminhypothesenmodell. In meiner Umfrage gehen viele von einer genetischen Veranlagung aus, aber sehen auch Trauma oder Drogenmissbrauch als Ursachen für Psychosen. Oft genannte Ursachen waren Stress bzw. belastende Situationen im Leben der Betroffenen. Das trifft meiner Meinung nach auch zu, allerdings müssen wir dabei "Stress" genauer definieren.

Wenn wir heutzutage jemanden fragen, wie es ihm wirklich geht, antworten sehr viele Personen, dass sie gestresst sind. Für mich bedeutet Stress, dass auf mir ein Druck lastet, den ich nicht aushalten kann. (Geradezu zynisch finde ich die Aussage, dass unter Druck Diamanten entstehen. Ich persönlich möchte kein Diamant sein - ein harter, kalter, durchsichtiger Stein, dessen hoher finanzieller Wert durch Knappheit auf der Welt generiert wird.) Ich bin der Überzeugung, dass Menschen nicht Druck brauchen, um besser zu werden. Sie brauchen vielmehr Akzeptanz und Eingehen auf die individuellen Talente um zu Gedeihen.

Dank meinen guten Sprachkenntnissen habe ich wie erwähnt auch Fachliteratur zum Thema Psychose gelesen. Dabei bin ich auf die "A Straight Talking Introduction to ..."-Reihe gestossen. Im Buch von Joanna Moncrieff "A Straight Talking Introduction to Psychiatric Drugs" wurde meine bisherigen Erkenntnisse über Psychosen bestätigt.

Die konventionelle Sichtweise geht von der Dopaminhypothese aus. Eine Überproduktion von Dopamin führe zu psychotischen Symptomen. Durch die Einnahme von Neuroleptika werde die Aufnahme von Dopamin an den Rezeptoren gehemmt (vgl. oben, Vergleich mit Diabetes).
Die Autorin postuliert eine andere Sichtweise als die erwähnte Dopaminhypothese. Sie zeigt ein Medikamenten (bzw. Drogen)-zentriertes Modell (als Gegenhypothese zum Krankheits-zentrierten Modell): Die Einnahme von Medikamenten kreiert einen abnormalen biologischen Zustand. Die Medikamente erhöhen den Ausdruck von psychischen Probleme durch die Überbelastung von Medikamenten-induzierten Effekten. Als Beispiel nennt sie Alkohol für soziale Ängste. Niemand würde behaupten, dass ein Patient regelmässig Alkohol trinken sollte, weil es ihm den sozialen Austausch erleichtern würde. Dennoch kennt wohl jeder die enthemmende Wirkung eines guten Glas Weins oder Biers. Es ist uns aber klar, dass es nicht der Alkohol ist, der dem Gehirn fehlt. Vielmehr verursacht regelmässiger Alkoholkonsum sozusagen Nebenwirkungen und schädigt je nach Dosis Herz, Gefässe, Leber, Hirn und macht abhängig.

Das Krankheitszentrierte Modell geht davon aus, dass Medikamente ihre therapeutische Wirkung einsetzen indem sie eine zugrundeliegende biologische Abnormalität oder Krankheit umkehren. Das Medikamentenzentrierte Modell vermutet, dass die Medikamente selber einen abnormalen Gehirnzustand kreieren. Dieses Modell geht davon aus, dass die Wirksamkeit der Psychopharmaka dadurch entsteht, dass Symptome einer Psychose unterdrückt werden können, indem alle geistigen und körperlichen Aktivitäten vermindert werden. Der Patient kommt zur Ruhe.

Allerdings haben sie auch viele unerwünschte Wirkungen. Neuroleptika verursachen einen neurologischen Zustand, der ähnlich der Parkinson-Krankheit ist. Typisch sind eine Reduktion der Bewegung und eine generelle Verlangsamung von mentalen Prozessen. Bei den Wirkungen der Neuroleptika können emotionale Erfahrungen wie Traurigkeit oder Fröhlichkeit weniger intensiv sein und Personen beschreiben, sie fühlten sich emotional abgeflacht, gleichgültig oder taub.

Dies bestätigten auch die Teilnehmer meiner Umfrage. Aussagen waren etwa, dass Neuroleptika die Gefühle und Gedanken dämpfen bzw. unterdrücken oder filtern aber auch, dass das Unbewusste nicht zugänglich sei. Als Nachteil wurde daraus gesehen, dass es schwer ist, Trauma zu verarbeiten, weil man keinen Zugang dazu hat. Negativ wurde auch beschrieben, dass eine Abflachung der Gefühle als Nebenwirkung vorkommen könne.

Es gibt nach wie vor die Meinung, dass eine Psychose sich chronifizieren könne, wenn sie zu lange (medikamentös) unbehandelt bleibt. Gemäss meinen Recherchen ist eher das Gegenteil der Fall. Menschen, die Psychosen ohne Medikamente überstanden haben, hatten ein geringeres Rückfallsrisiko.

Was ist wichtig während einer akuten Psychose?

Gestützt auf meine Umfrage und meine eigenen Erfahrungen gibt es viele wichtige Faktoren um eine Psychose unbeschadet durchzustehen. Dazu gehören Ruhe, Schlaf, Gespräche, ernst nehmen, Verständnis, Reizarmut bzw. Reizabschirmung, gesunde Ernährung, ausgewogene Tagesstruktur, engmaschige Betreuung, Aufsicht durch Fachpersonen, Erhöhung der Medikamente, dem Menschen auf Augenhöhe begegnen, Achtsamkeit, dem Prozess vertrauen, Geborgenheit, geschützter Rahmen, individuelle Betreuung, Prozesse begleiten nicht stoppen, Meditation, Garten/Töpfern/Laufen um den Körper zu spüren, Raum und Zeit und Geduld.

Meine eigene Erfahrung mit Psychopharmaka

Alle Neuroleptika haben Nebenwirkungen. Etwa Gewichtszunahme, unwillkürliche Bewegungen, Nervosität, Unruhe, Verstopfung, Diabetes, hormonelle Veränderungen durch Prolaktinüberschuss bis zu einem Mikroadenom, das bei mir mittels CT im Kopf festgestellt wurde.
Das Absetzen ist schwierig, da niemand weiss, wie es geht. Es ist wichtig, in kleinen Schritten die Medikamente zu reduzieren und langsam abzusetzen.

Aus meiner Umfrage ergab sich, dass bei einer Person gesagt wurde, dass die Krankenkasse den Sirup (mit welchem man besser kleine Mengen des Medikaments einnehmen kann) nicht bezahle. Langfristig bin ich dafür, die Medikamente wieder abzusetzen und erst bei Bedarf wieder einzunehmen.

Allerdings ist es schwierig, da die meisten Ärzte nur wenig Erfahrungen haben im Absetzen bzw. Reduzieren der Medikamente. Zuerst muss man seinen Arzt überzeugen, was sicher nicht unbedingt einfach ist. Dieser möchte nicht die Verantwortung übernehmen, wenn etwas schief geht. Deshalb verstehe ich, dass es immer wieder Menschen gibt, die in "Eigenregie" ihre Medikamente reduzieren oder absetzen. Natürlich ist das auch keine gute Lösung. Aber ich wünsche mir hier mehr Verständnis auch von den Fachpersonen. Es ist immer noch der bzw. die PatientIn, welche mit den Wirkungen und Nebenwirkungen leben muss, und es sollte deshalb auch seine bzw. ihre Entscheidung sein, ob er / sie diese Medikamente jahrelang einnehmen will. Der Arzt sollte so eine Entscheidung respektieren und gemeinsam mit den Patienten das Vorgehen absprechen.

Mein heutiger Psychiater ist in dieser Hinsicht auch noch "traditionell" und hat nicht die Absicht, dass ich bald die Medikamente reduzieren könnte. Obwohl ich ihn schon mehrmals darauf angesprochen habe bzw. darauf, dass ich wieder zu "meinem" altbewährten Präparat Aripiprazol (Abilify) wechseln möchte. Ich habe schon seit über einem halben Jahr noch immer die Austrittsmedikation und mir wurde damals gesagt, dass ich bei meinem (zukünftigen) ambulanten Therapeuten das Medikament noch weiter reduzieren könne. Für mich ist ausserdem unverständlich, wieso ich bei meinem letzten Klinikaufenthalt im Sommer 2020 das allerneuste Neuroleptikon "Reagila" bekommen habe. Obwohl es ein "älteres" Antipsychotikum) gibt (ca. 20 Jahre auf dem Markt, das ich gut vertrage. Ich habe mich auch schon gefragt, ob dahinter z.B. finanzielle Interessen liegen, dass eine Klinik ein bestimmtes Präparat verschreibt. Aber dieses Denken wäre ja schon fast wieder paranoid.

Beim Reduzieren bzw. Absetzen der Medikamente ist es wichtig, die Medikamente ganz langsam zu reduzieren. Ein Risiko sind Entzugserscheinungen, die ähnlich wie psychotische Symptome sein können. Natürlich besteht auch die Gefahr eines Rückfalls beim Absetzen der Medikamente. Allerdings ist die Schlussfolgerung, dass ein Patient deshalb rückfällig wurde, weil er seine Medikamente nicht genommen hat, ein zu einfacher Trugschluss. Die Kausalität stelle nicht nur ich in Frage. So hat ein Psychiater gesagt, dass es ja auch sein könne, dass der Patient erst nach Ausbruch der Psychose die Medikamente nicht mehr genommen hat.

Sicherlich von Vorteil ist eine möglichst ruhige Lebenssituation mit wenig Stress und die Reduktion mit Fachpersonen abzusprechen und zu begleiten. Dabei ist eine engmaschige Begleitung wünschenswert. Jedoch eignen sich Aufenthalte in der Psychiatrie zur Anpassung bzw. Absetzung der Medikation meiner Meinung nach nicht.

Benzodiazepine (bspw. Temesta oder "Psychopax" / Valium) können sicherer sein als viele andere Psychopharmaka. Sie haben viele Nebenwirkungen nicht (Herzprobleme, Gewichtszunahme, Parkinson-Symptome etc.). Durch die beruhigende Wirkung können sie in akuten Psychosen hilfreich sein. Sie lassen auch nicht die emotionale Reaktionen abflachen oder die körperliche Aktivität, was bei den meisten Neuroleptika der Fall ist. Sie können beim Schlafen helfen. Allerdings ist die Gefahr von Benzodiazepinen die Abhängigkeit, die nach wenigen Wochen entsteht. Es wird deshalb nicht empfohlen, Patienten länger als einen Monat mit Benzodiazepinen zu behandeln. Es besteht die Gefahr, dass es zu Entzugserscheinungen beim Absetzen der Medikamente kommt.

Nach meiner Erfahrung tritt eine Abhängikeit schnell ein. In meiner ersten Psychose mit 19/20 Jahren verabreichte mir der neue Arzt in der Tagesklinik täglich 3 Temesta 1 mg für die ganze Woche. Nachdem ich mich damals informiert hatte, habe ich diese anschliessend selbständig abgesetzt, da ich sie zuvor im stationären Klinikaufenthalt nur bei Bedarf hatte. Dass ich mehr Medikamente in der Tagesklinik brauchte als vorher in der Akutphase, hat mich nicht überzeugt. Als Entzugserscheinungen bemerkte ich bei mir (nach einigen Wochen regelmässiger Einnahme von Temesta) Schlafprobleme und Emotionalität. Auch in meiner Umfrage waren viele Antworten mit dieser Sichtweise übereinstimmend. Die meisten der Befragten gaben an, dass Benzodiazepine kurzfristig hilfreich sein können. Es wurde auch erwähnt, dass diese Medikamente wenig Nebenwirkungen haben. Allerdings ist die Gefahr der möglichen Abhängigkeit nicht zu unterschätzen. Vermutlich ist es auch hier wichtig, zu unterscheiden und je nach Person ist das Abhängigkeitspotential wahrscheinlich anders.

Meine Sinnfindung in der Psychose

Dank der Unterstützung meines Partners durfte ich eine Psychose im vertrauen Rahmen zu Hause erleben. Dies hat mir erstmals aufgezeigt, dass etwas Unverständliches auch etwas Wunderbares und Magisches hat. Es war nicht mehr in erster Linie beängstigend, was ich damals erlebte, nein, die Psychose beflügelte mich und inspirierte mich. Das half mir dabei, die Psychosen als Teil meiner persönlichen Lebensgeschichte zu akzeptieren und ermutigte mich, weiter meinen eigenen Weg zu gehen.

Ich bin heute schon ein gutes Stück weitergekommen auf meinem Recovery-Weg. Dennoch sind noch einige Fragen ungeklärt für mich. So fragte ich mich in meiner letzten Psychose etwa: "Wie soll ich möglichst schnell gesund werden, indem ich Geduld übe?" oder "Wie kann ich Vertrauen üben in einer psychiatrischen Klinik?". Hilfreich für meine Gesundung ist eine ganzheitliche Sichtweise meiner angeblichen Krankheit, der Psychosen. Dabei versuche ich, im Sinne der Definition von Recovery durch William Anthonig (1993) über die katastrophalen Auswirkungen der psychischen Krankheit hinauszuwachsen und ein für mich stimmiges Leben trotz und mit meinen Psychosen zu leben.

Ich habe in meinen Notizen von meinem letzten stationären Aufenthalt gelesen, dass es mich wütend machte, wenn mich jemand "paranoid" oder "krank" nannte aber es hat mich noch wütender gemacht, wenn ich aufgegeben habe und Medikamente schluckte, die ich nicht kannte und nicht wollte.

Meine Psychosen haben mir gezeigt, dass es noch so vieles auf unserer Erde gibt, was wir heute (noch) nicht mit dem Verstand verstehen können. Sie haben mich auch die harten Lektionen gelehrt, dass ich auf mich selbst vertrauen kann und mich selbst lieben lerne. Ich habe gelernt, dass es nicht "eine" Realität gibt und dass es keine Sicherheit gibt. Wahrnehmungen sind nie "falsch", da sie individuell sind. Dass ich sensibel bin, ist meine Stärke. Dank meinen Psychosen habe ich erkannt, wie kreativ ich bin und was mir im Leben wirklich wichtig ist. Ich bin "nur" ein Mensch mit einem Bewusstsein, mit Gefühl und Verstand. Was mich nicht umbringt macht mich stark und ermutigt mich, weiterzukämpfen.