der Spagat oder die Ambivalenz

23.04.2021

Mit dem Schreiben dieses Blogs versuche ich, was für mich lange unvereinbar schien, zu verbinden. Einerseits wünsche ich mir mehr Verständnis von der Gesellschaft darüber, wer ich wirklich bin und was Menschen mit Psychosen wirklich brauchen - andererseits traue ich mich nicht, öffentlich mit meinem Namen und meinem Gesicht zu der mir gestellte Diagnose zu stehen und will mich auch schützen.

Also ich kann den eigentlichen Spagat nicht aber ich bin ziemlich sicher, dass man ihn auch nicht einfach von heute auf morgen kann, wenn man sich dazu entscheidet. Man muss wohl täglich üben und üben und üben und macht kleine Fortschritte und irgendwann ist man am Ziel. Ich finde, das passt ganz gut.

Wenn ich heute in der Öffentlichkeit alles offen legen würde, was ich erlebt habe, würde ich mir selbst schaden. Deshalb mache ich kleine Schrittchen und erzähle hier häppchenweise einige Anekdoten aus meinem Erlebten. Das ist schon ein befreiendes Gefühl. Aber ich mache das nicht nur für mich, denn ich bin ja auch nicht die einzige, der die Diagnose Schizophrenie gestellt wurde. Es sind wohl etwa 1 von 100 Personen davon betroffen. Ich will versuchen, eine Art Sprecherin für Menschen "wie mich" zu sein oder Menschen wie mein früheres Ich zu ermutigen, weiter zu machen und ihren eigenen Gesundungsweg zu gehen.

Ich habe viele gut gemeinte Ratschläge und Hilfe erhalten. Das war irgendwie ein grosses Glück für mich aber irgendwie auch nicht. Da haben wir wieder die Ambivalenz. Ich bin sehr froh, dass ich eine liebe, unterstützende Familie habe und super Freundinnen aber manchmal hat es mich auch belastet, dass ich so vielen verschiedenen Personen gerecht werden wollte (sollte?). In Zeiten, wo ich ganz stark mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war bzw. psychotisch war, waren mir andere Menschen meistens eher unangenehm oder sogar belastend. Ich wollte aber auch nicht ganz allein sein. Wahrscheinlich wäre 1 oder 2 Personen, die für mich da wären, am schönsten. Wenn wir hier schon bei "wünsch dir was" sind. Sie sollten für mich da sein, mir zuhören, mich begleiten, mir vielleicht Ideen zur Beschäftigung aufzeigen, mich motivieren, mir zur Seite stehen, mir Sicherheit geben. Ich glaube, das würde den meisten Psychose-Patienten am besten helfen.

Auch die Peer-Arbeit ist irgendwie eine Art Spagat, man ist gleichzeitig auf der Betroffenenseite und arbeitet für eine psychiatrische Klinik und versucht zu vermitteln. Ich bin übrigens auch ein "mittleres" Kind, vielleicht ist das einfach mein Schicksal?

Auch zu der psychiatrischen Versorgung habe ich eine ziemlich ambivalente Einstellung. Vieles stelle ich inzwischen in Frage. Andererseits bin ich auch froh, dass wir ein funktionierendes Gesundheitssystem hat, wo niemand allein mit seinen Problemen gelassen wird. Ich war wohl schon immer ein kritischer Mensch, und auch das ist ja nicht per se schlecht. Zum Glück habe ich einen eigenen Kopf zum Denken (und zum Glück ist denken nicht verboten).

Vielleicht ist es dieses Hin-und-Her in meinem Kopf, was als "Schizophrenie" bezeichnet wird. Naja dann wäre ich eigentlich noch gerne schizophren, denn dadurch sehe ich viel mehr, als jemand, der nur entweder-oder denkt. Alles hat ja mindestens zwei Seiten. Aber darüber habe ich glaub ich schon geschrieben. Die Vielfalt ist doch das, was das Leben so einzigartig und schön macht. Manchmal macht mir das Ping-Pong meiner Gedanken das Leben aber auch ganz schön schwer. Zum Beispiel wenn man im Supermarkt steht und nicht weiss, welches von den 20 verschiedenen Klopapierpackungen man kaufen soll, obwohl es doch eigentlich "scheissegal" ist. Dank Corona hat sich auch diese Thematik ziemlich entschärft, man kann ja eigentlich froh sein, wenn man überhaupt noch was kriegt.

Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich mittlerweile auch recht gut kenne und meistens weiss, was ich will oder zumindest, was ich nicht will. Das Ausschlussverfahren hat mich schon beraten, als ich vor der Studienwahl stand. Naja, ob das eine gute Beratung war, wäre noch ein ganz anderes Thema... Jedenfalls habe ich schon einiges gelernt im Leben und fühle mich heute mehr ich selbst als vor meinen Psychosen. Deshalb kann ich sie inzwischen auch als etwas, was zu mir gehört, akzeptieren und mich so ein bisschen bei ihnen bedanken. Es war wirklich eine ganz schön harte Lektion aber so habe ich gelernt, besser auf mich zu hören und meinen eigenen Weg im Leben zu suchen. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich jetzt Eigenbrötlerin bin. Ich habe zum Glück immer noch ein grosses Netz von Angehörigen, die mich so akzeptieren, wie ich bin. Und fast noch wichtiger ist, dass ich gelernt habe, mich selbst gut zu finden, so wie ich bin. Ich bin keine "gespaltene Persönlichkeit" oder gar "gespaltene Seele" sondern habe viele unterschiedliche Facetten, die mich - wie jeden Menschen - einzigartig machen. Wahrscheinlich liegt das alles sowieso nur an meinem Aszendenten, ratetet mal was das ist?

:) Zwilling (: